Die von Cäpsele Harry angeregte Diskussion zur Thematik Dampfmaschinensteuerung gibt Anlass, zu versuchen, etwas umfassender zu berichten.
Die D.R.P. Nr.: 94623 von Bing interessierte bereits um 1970, nachdem ich meine erste Dampfmaschine in Stuttgart erwarb. Sie trug auf einem Schildchen eingraviert die D.R.P.-Nummer.
Das machte natürlich neugierig und war Anlass, das Patentamt in München aufzusuchen. Die Schwierigkeit bestand im Wesentlichen darin anzugeben, bzw. zu wissen, wo zu suchen ist. Dank freundlicher Mitarbeiter gelang es, die Patentschrift zu finden und kopieren zu dürfen, wobei die Qualität damals nicht sehr gut war. Es musste nachbearbeitet und mit Tipp-Ex verbessert werden um dann mit einem besseren Kopierer die retuschierten Graustellen vollständig verschwinden zu lassen. Bei weiteren Patentschriften wurde ebenso verfahren. Erst in jüngerer Zeit wurden die Blätter eingescannt. Ich schildere das, um zu zeigen, was für eine Arbeit dahinter steckte.
Die erste Bing-Dampfmaschine Nr. 8571/1, „ Dampfmaschine, hochfein ausgeführt, mit stahlblau oxydiertem Messingkessel, vernickelten Armaturen, Dampfpfeife, Wasserstandsglas und feststehendem patentierten Präzisionszylinder „Perfect“ mit Flachschiebersteuerung, 26 cm hoch ohne Regulator, mit Federventil.“ ist im Bing-Katalog von 1898 auf Seite 6 aufgeführt eben unter der Nr. 8571/1.
Die Maschine
Und der Katalognachweis.
Das Deutsche Reichspatent vom 13. Dezember 1896:
Das Demonstrationsmodell zum Patent:
Nachdem Bing zu dieser Zeit Dampfmaschinen lediglich mit den einfachen oszillierenden Zylindern anbot, war der Patent-Cylinder „Perfekt“ eine entscheidende Neuerung, kam diese Technik doch den realen Vorbildern nahe.
Dies ist auch der Grund, dass weitere Dampfmaschinen auf den folgenden Seiten des Kataloges von 1898 jeweils mit dem neu entwickelten Patent-Cylinder „Perfekt“ angeboten wurden.
Einige Beispiele:
Nr. 8043/2 „Hochelegante Dampfmaschine, mit stahlblauem oxydiertem Messingkessel, ff. vernickelten Armaturen, Sicherheitsventile, Dampfpfeife, Wasserglas und feststehendem, patentiertem Präzisionszylinder Perfekt mit Flachschiebersteuerung, ohne Regulator, 32 cm hoch, 30 cm lang 14 cm breit, mit Gewichtsventil und Ablasshahn.
Eine Maschine „hochelegant“ unter der Nr. 8048/1 mit Federventil
wobei es nachvollziehbar ist, dass die patentierte Neuerung, jeweils auf einem Messingschildchen graviert, die Dampfmaschine zieren durfte. Ein Muss!.
Das zeigt sich auch bei der „Modelldampfmaschine mit feststehendem Cylinder“ namens IDEAL im Kataloges Nachtrag des Jahres 1903 zur Spezialpreisliste 1902 unter der Nummer 7123/3…. mit Dampfpfeife und Wasserstandsglas.
Auch als Ersatzteil wurde der „Dampfzylinder Perfekt“ auf Seite 21 des Kataloges in verschiedenen Größen angeboten.
Die Flachschiebersteuerung hat sich offensichtlich bewährt, auch noch 1904 wird sie bei den sehr schönen Modellen „Monna“ und „Vanna“ verwendet und angepriesen.
Die MONNA:
Die VANNA:
Allen Maschinchen ist gemeinsam, dass diese, betreffend technischer Ausstattung, einfach gehalten sind.
Im ersten Katalognachtrag von 1899 rüstet Bing nun auf, Maschinen mit dem Patentzylinder „Perfekt D.R.-Pat. Nr 94623" werden mit einer Kessel-Speisepumpe angeboten. Die Dampfmaschine Nr. 8571/1 von oben, zusammen mit der neueren Ausführung.
Man hat sich offensichtlich auch Gedanken zur Verbesserung der Technik, betreffend Umsteuerung gemacht, denn es liefen alle Maschinen immer nur in eine Richtung.
Am 08. Dezember 1900 wurde ein Zusatz zum Patente 94623 vom 13. Dezember 1896 ausgegeben, das nun eine Umsteuerung der Drehrichtung der Maschine ermöglichte.
Natürlich wurde diese neue Errungenschaft auch bei den Dampflokomotiven umgesetzt.
So wird im II.en Nachtrag vom Juli 1900 zur Spezialpreisliste von 1895 auf die "Epochemachende Neuheit in Dampflokomotiven" hingewiesen:
Leider kann ich keine Objekte mit dieser frühen Umschaltungseinrichtung bei der Schiebersteuerung „Perfect“ zeigen.
Bereits 1902 führt Bing in der Spezialpreisliste für Spielwaren die Präzisions-Röhrenschiebersteuerung mit Umsteuerungsplatte, D.R.-Patent auf, wie dies bei fast allen Storchenbeinlokomotiven und den Folgemodellen verwendet wird. Aber das ist wieder ein eigenes Kapitel.
Zum Ausgangsthema zurückkommend wird Harry gebeten, Bilder seiner aufgeführten Loks zu zeigen.
Denn die Steuerung auf dem rechten Bild, die Bing zuordnet wird, dürfte vom technischen Prinzip Carette zuzuordnen sein, zieht man die Patentschrift von Carette Nr.: 118076 vom 09.Juli 1899 hinzu.
Da eine Carette-Maschine aus der Zeit vorhanden ist
und diese eine Bing-identische Flachschiebersteuerung aufwiest, denkbar ist auch, dass die "Kugelsteuerungsabdeckung" verloren ging(???), soll sie vorgestellt werden.
Denkbar ist, dass Carette im Rahmen angestrebter Verbesserungen die technische Veränderung des Andruckes des Schiebers an den Dampfkasten mit vermeintlicher Reduzierung des Reibungswider-standes durch „Kugelgleiten“ vorgenommen hat, um gleichzeitig bei hohen Arbeitsdrücken ein Abheben des Flachschiebers mit Verlust des Arbeitsdruckes zu verhindern.
Vielleicht hat jemand ein Bild einer Bing-Lok mit umstellbarer Flachschiebersteuerung, bitte dann einstellen.
Grüße,
R. R.