Guten Tag!
Gestern fertiggestellt:
Über die Wiederherstellung einer Bing-Storchenbein von 1902
Manchmal tauchen Objekte auf, die auf Grund des Zustandes eigentlich als minderwertig einzustufen sind. In der Szene gibt es Interessierte, die sich an der Restauration defekter Stücke erfreuen und sich auf die Brust geschrieben haben, dass solch alte Stücke zu erhalten sind, um nach bestem Können reanimiert zu werden. Im Vordergrund steht dabei die Freude an restaurativer, kreativer Tätigkeit.
Ein solcher Fall erreichte mich und bat um Instandsetzung im „chirurgischen Rentner-OP“.
Nachweis im Bing-Verkaufskatalog von 1902.
Ausgangssituation:
Zerlegung, obligatorische Reinigung, Anfertigung der fehlenden Pleuelstange mit Kolben, was sich messtechnisch als nicht problematisch erwies, da ja das Pendant auf der anderen Seite vorhanden ist. Hauptproblem aber: Woher einen 3,5 mm Stab, vernickelt, nehmen.
In Erinnerung der vergangenen unfallchirurgischen Aktivitäten wusste ich, dass es beim „Fixateur extern“ die Schanz`schen Schrauben und die Steinmannägel mit 3.5 mm gibt. Sowas fällt nach Metallentfernungen beim Patienten an, wird entsorgt, wenn Patient nicht behalten will. Erfreulich, dass dieser Edelstahl im farbigen Erscheinungsbild einer Vernickelung nahekommt. Im Bild eine Schanze Schraube und der rekonstruierte Pleuel.
Als anspruchsvoll erwies sich die Fertigung der Öse für die Kurbelzapfenaufnahme.
Das Flachmachen des Endes zum Einbringen der Bohrung für den Kurbelzapfen sollte mit der Hydraulikpresse geschehen. Doch bei 50 Tonnen Prägegewicht verformte sich der Stahl nicht, es wurde lediglich in die stählerne Unterlage ein Rundstababdruck eingeprägt. Unglaublich zähes, hartes Material. (Mertensit/Austenitlegierungseffekt).
Also Änderung der Vorgehensweise: Warm machen und Abflachen mit Hammer auf Ambos.
Ausschleifen der konvexen Endrundung.
Trotz der Zähigkeit des Materials gelang es, die Bohrung einzubringen und, nach Längenfestlegung, am anderen Ende ein 3,5 mm Gewinde einzuschneiden, kongruent zum gefertigten Messingkolben mit 3.5 mm Gewindeinnenbohrung.
Die Kesselöffnung für die Dampfpfeife erwies sich als zu groß für das Gewinde der Pfeife. Daher Anfertigung eines Adaptergewinderinges zwischen nachgeschnittenem Kesselgewinde und Pfeifengewinde.
Die gelösten Messingröhrchen der Dampfentnahme aus der Dampfdomeinrichtung können nur unter Spannung eingelötet werden, erscheinen zu kurz.
Daher Einlöten jeweils eines „Verlängerungszylinders“ li. und re. in den Dampfentnahmezylinder mit folgender Verlötung der Messingröhrchen nach Biegungskorrekturen und Ersatz der hochgradig verrotteten Kesselgalleriestangen durch 3 mm Kirschnerstifte.
Nun noch Ergänzung der fehlenden vorderen Puffer und Zuschneiden des geriffelten, halbrunden Übergangsbleches zum Tender.
Nach guter Ölung aller beweglichen Teile Probelauf mit Pressluft: Perfekter Lauf.
Anmerkung. Die narbigen Veränderungen, Rostschäden und Lackdefekte, im Sinne der Spuren des Alters, werden belassen, denn sie verleihen der 116-jährigen Dame eine warme Aura, zeigen nicht auch zuletzt die Narben des erlittenen, langen Leidensweges.
Der Brenner wird später mal rekonstruiert.
19.03.2019