2-Kerzenbeleuchter Bing-Bahnhof von 1898
l
Besonders faszinierend und rar sind die Tinplate-Bahnspielzeuge aus der Zeit um 1900.
Im Rahmen der Restauration zweier solcher Stücke von 1898 sollen die zu tätigenden Maßnahmen beschrieben werden.
Es handelt sich um ein Bahnhofsempfangsgebäude und ein doppelflügeliges Signal der Firma Gebr. Bing Nürnberg.
Wenn Spielzeuge das überhundertjährige Alter erreicht haben, dann zeigen sich die
Spuren des Alters deutlich. Bei Bing, wie allgemein bekannt, stellt oft der Lackzustand ein Problem dar, da Bing auf die Grundierung, die der besseren Haftung und Haltbarkeit des Lackes dient, verzichtete. Die Langzeitfolgen zeigen sich in bröseligen Abplatzungen und Sandungen der aufgebrachten Lackschichten, was daher vorwiegend bei diesen Produkten festzustellen ist, weniger bei den Stücken, z.B. der Märklinprodukte, wo grundiert worden ist.
Die Bearbeitungsobjekte sind das Bahnhofsgebäude Nr. 8342 und das Signal Nr. 9915, die im Firmenkatalog „Der kleine Eisenbahningenieur“ von 1898 nachweisbar aufgeführt sind.
Altersentsprechend ist das Gebäude im wahrsten Sinne des Wortes „gebrechlich“. Flächenhafte Lackabschilferungen und Abplatzungen haben Blechabschnitte freigelegt, die, Feuchtigkeitseinflüssen und Temperaturschwankungen ausgesetzt, durch den so fehlenden Schutz nun rostige Flächenveränderungen des Eisenbleches aufweisen. Zusätzlich fallen gefestigte Staubauflagerungen ins Auge. Die zu dieser Zeit übliche Mineralglasbestückung der Gebäudeinnenwände zum Verschluss der Fensteröffnungen fehlt, die Glasplattenführungsrahmen
sind leer, aber vorhanden.
Noch desolater zeigt sich der Zustand des Signals, das aber, ob der Seltenheit, erhaltend in Stand gesetzt werden soll, ist es doch der Vorläufer der nach 1900 von Bing gebauten Gittermastsignale. Es entspricht einem alten bayerischen Signal, wie das historische Bild des Bahnhofes Frontenhausen um 1885 belegt.
Zunächst der Eingriff am Empfangsgebäude:
Die durchzuführende Restauration beinhaltet im Wesentlichen zwei Schritte:
-Säubern und damit verbunden die Abtragung der verschmutzten Staubauflagerungen mit Entfernung von Wachsresten des Areals um die Kerzenhalterungen herum und vorhandenen Rostaufblühungen. Das wird mit feinen Arbeitsmaterialien wie Baumwolltuch, Lackreiniger, und in vorsichtigen Arbeitsschritten mit Skalpellmesserschabungen usw. bewerkstelligt, wobei es nicht zu vermeiden ist, das kleinere Lackabbröselungen an bereits fortgeschritten korrodierten Flächen stattfinden. Aber das hält sich in Grenzen. Besonders gefährdete Flächen werden bereits vor der Reinigung mittels Tiefengrund gefestigt. (Hartgrund Clou 400) Abschließend erfolgt nun die Stabilisierung der übrigen Lackflächen mittels Aufbringen von mit Verdünner vorbereiteter Zellulosetiefengrundlösung, die sich, kapillär gut benetzend, unter der Lackschicht mit deren Rissen einfließend ausbreitet und nach Trocknung eine unauffällige, relativ grifffeste Belastung des Lackes bewirkt. Gleichzeitig wird so eine optische Auffrischung der verwitterten, verblichenen ursprünglichen Lackfarbgebung erzielt. Im Verlauf dieser Schritte auch säubern der Glocke und der Absperrkette, die, ob ihres überlebten 100-jährigen Alters, unbedingt zu erhalten sind. Dazu vorsichtige Demontage und Reinigung mit ultrafeiner Stahlwolle, in Lackreiniger getränkt. Anschließend Replantation. Ein brand-new Effekt ist vermeiden.
-Im zweiten Schritt erfolgt die Begradigung von verbogenen Blechabschnitten sowie die Erfassung und Rekonstruktion der Fehlteile, der Fahne und der Verglasung. Für die Glasscheiben wird sich für signalrotes Mineralglas entschieden, da bei allen Bing-Gebäuden in irgendeiner Form die Fenster „rotverglast“ waren. (In der Frühzeit mittels Mineralglasscheiben, später mittels Cellonscheiben). Nach Glaszuschneidung und Abschleifen der Glasränderkanten erfolgt das Einschieben der Glasplatten in die entsprechenden, gesäuberten Rahmenfassungen.
Der Abstand zu den beiden aufzusetzenden Dächern passt.
Mittels der zwei eingesteckten Kerzen in die dafür vorgesehenen Halterungen erfolgt eine kurze Probebeleuchtung, um nicht die bereits vorhandenen Brandspuren an den Dachaufsätzen zu verstärken.
Es folgt die Bearbeitung des Signals.
Interessant ist hier die Funktion des Signals, die im Bedienungsablauf dem originalen Vorbild entspricht. Jeder Signalflügel kann durch Schub und Zug der Signalstangen einzeln bewegt werden. Die farbigen Signalgläser sind dementsprechend gesondert einzustellen. Der Laternenkasten ist hoch und runter zu kurbeln, wie es der Signalwärter und der Lampist der Kg. Bay. E. zur Unterhaltung und Versorgung der Signaleinrichtung zu tun hatten. (Reinigen und Wartung der Brennereinrichtung, Dochtwartung, Säuberung der Glasscheiben und ersetzen derselben bei Beschädigung, nachfüllen des Petroleums in den Brennertank, usw.)
Die gestörte Betriebsfunktion ist beim Modell wiederherzustellen.
Zunächst die obligatorische Reinigung der Lackabschnitte und Stabilisierung des Lackes.
In dem runden, hohlen Blechmast laufen zwei Drahtstäbe, die am oberen Ende ösen artig mit einem kurzen Drahtbügel verbunden sind, der jeweils mit dem Signalflügel verlötet ist. Die beiden Signalstäbe treten am Fuß des Mastes durch einen Schlitz in der Signalmastwand aus diesem hervor und sind hier zu einem „Bügelgriff“ umgebogen, mit dem durch Schieben und Ziehen die Signalflügel bewegt werden. Gangbarmachen der durch Rost bewegungseingeschränkten Stäbe im Rundmast, sodass jeder Signalflügel wieder separat bedient werden kann. Leider fehlt ein Signalflügel, der noch vorhandene ist Vorbild für den nachzufertigenden zweiten. Die typisch bayerischen Schlitzperforationen des vorhandenen Signalflügel sind lediglich aufgemalt. Die Flügelform kann leicht auf dünnes Blech übertragen werden und nach zuschneiden der Blechflügelform erfolgt das Anlegen der Bohrung und die Anfertigung der Drehachse. Lötverbinden der für den Bewegungsablauf verantwortlichen Hebelabschnitte. Entfetten des neuen Signalflügels und weiß-rot Lackierung nach Vorbild des vorhandenen Signalflügels. Aufzeichnen der symbolischen Schlitze und fixieren der Schlitzstriche mittels seidenmattem Klarlack.
Die Signalflügelmechanik stimmt.
Nun „Ausgraben“ einer Laterne mit Rüböltank aus der Ersatzteilkiste, Anfertigen des rechteckigen 2 mm Drahtbügelrahmens als Führungschienenrahmen der Laterne. Anlöten des Rahmens mit dem aufgesteckten Laternenkasten an den Mast. Längenbestimmung der zu verwendenden Kette, Zurechtbiegen zweier Messingringe zum Anschluss der Kettenenden an das Laternengehäuse unten und oben, überwerfen der Kette über die Räder, sodass nun bei der eingestellten Kettenspannung die Laterne nach unten und oben durch Drehen der Kurbel bewegt werden kann. Die Kettenräder tragen, im Gegensatz zum zeitlich später folgenden Gittermastsignal, keine Zähne für den Kettengliedereingriff.
Zurechtschneiden fehlender „Blechtrittstufen“ des Mastes, Anlöten und Patinierung derselben.
Als schwierigster Akt stellt sich bei der Maßnahme die Rekonstruktion der grünen Signalglasscheibe mit Fassung dar. Durch die vorgegebenen Masse der vorhandenen roten Glasscheibe mit Fassung kann eine entsprechende Scheibe aus altem grünen Signalmineralglas gefertigt werden, nach Hinweis eines Glasermeisters, der manuell diese kleinen Scheibendurchmesser nicht mit dem Diamantschneider zirkeln kann, auf die Leistung einer metallverarbeitenden Firma, die auch Glas in Wasserstrahltechnik zuschneidet.
Rekonstruktion der Glasscheibenfassung mittels Ausdrehung einer 20 mm Unterlegscheibe auf der Drehbank, Einlegen der grünen Glasscheibe mit weiter Fertigung eines Verschlußringes, der die Scheibe im Ringrahmen mittels Verlötung stabilisiert.
Anlöten des grünen Glasringes an den Trägerarm in Lötverbindung mit der roten Signalscheibenfassung im richtigen Winkel über eine temoräre Hilfskonstruktion.
Die Einstellung von Halt auf Fahrt, Rot auf Grün mittels Drahthebelstange ist vor der Laterne stimmig einstellbar.
Das sieht nun so aus.
Schlußbilder, zeitlich um 1900.
Schöne Vorweihnachtzeit
Grüße,
R. R.