Guten Tag!
Um mit bebilderter Unterhaltung die BING-Thematik etwas zu beleben, stelle ich einen Bericht, für einen Kollegen gefertigt, ein, der mir die Maschine vorstellte:
So wie es bei den Spielsammlern Kollegen gibt, die historisches Technikmaterial zum ungestörten, modernen Spiel ihrer ursprünglichen Technik „berauben“ gibt es Sammler, die auch stattgehabte Umbauten wieder rückgängig machen möchten.
Dem Wunsche eines Bing- Freundes, die übersandte Lok zu analysieren, zu restaurieren und, wenn möglich den Motor zurückzubauen, beabsichtigte ich zu entsprechen.
Dazu entstand folgender Bericht:
Die Maschine:
In Augenscheinnahme und Erstdiagnostik:
Es handelt sich um eine „veramerikanisierte“ Version der Katalognummer 181/2523 des Jahres1912, mit jedoch nur einer elektrischen Stirnlampe. Tender fehlt.
Gesamteindruck: Verschmutzt, Flächen mit schwarzem mattem Dünnschichtlack überzogen unter Aussparung der rot-goldbronzenen Linierung. Krakeleenbildung.
Führerhaus:
Innen:
Lithografierter Lack, Führerhauswand, Sicht Fahrtrichtung vorwärts: lithografiertes, rechteckiges Schildchen mit dem Aufdruck „4 (rot) Volt (schwarz)“.
Führerhauswand frontal außen: schwarz, der angesetzte Kessel ist mit der Führerhauswand durch zungenförmige Laschen, die in entsprechende Schlitze der Führerjhauswand durchgesteckt und umgebogen sind, fest verbunden.
Aussen:
Unter dem Dachvorsprung in Höhe der symbolischen Sicherheitsventile erkennbar, zur Hälfte durch die Kesselverbindung verdeckt, die lithografierte „Bing-Raute“.
Der untere Abschnitt des Bing-Logo ist nach Ausbau des Motors von Innen erkennbar.
Seitenwände: Aufdruck der Spurweite „I 48“, rot auf goldbronzenem Grund.
Der Kessel, die Radkästen und die Dampfzylinder tragen rote-goldbronzene Zierlinien, in der Farbfolge: rot-goldbronzen, schwarz, goldbronzen, rot.
Die Kesselwandung ist außen mit einer dünnen, schwarzen matten schwarz-schmutzigen Lackschicht überzogen unter Aussparung der Ringlinierung. Vereinzelte mit Tupflack ausgebesserte ehemalige Lackschäden im schwarzen Bereich.
Auf dem Kessel montiert der Bing-typische, schmutzig-gelbliche, vernickelte, Dampfdom, mit einer Rändelmutter auf zentralem Stift fest verschraubt. Davor platziert die charakteristische amerikanische Signalglocke, aufgehängt in einem Bügelsystem, das mittels zweier Blechzungen, die durch entsprechende Schlitze im Kesselblech geführt sind und zur Festigung innen umgebogen sind. Die Messingglocke wird durch ziehen und schieben einer „Drahtstange“, die ins Führerhaus führt, betätigt, ein entsprechendes Warngeläute ist akustisch nicht auszulösen, trotz vorhandenem Klöppel.
Kamin, vernickelte Kesselgalleriestangen, Stirnlampe sind charakteristisch Bing-typisch.
Die spitze Rauchkammertür ist hell vernickelt, nicht schwarz lackiert.
Die Schlitzperforationen zur Aufnahme der Blechzungenlaschen sind leer, da die Zungen fehlen. Die Rauchkammertür wurde offensichtlich durch Aufbiegen durchgesteckter Blechlaschen des Kessels abgezogen und replantiert, eben unter Biegungsbruchbedingtem Verlust der Blechzungen. Möglicherweise wurde die Rauchkammertür unter Weglassung der Blechlaschen neu aufgebracht im Rahmen der Stirnlampenmontage. Es können keine Abbruchlaschenstümpfe ausgemacht werden.
Auf der Kesselstütze zwischen linkem Dampfzylinder und Kessel ist unter der roten rechteckigen Linienführung der golbronzene Schriftzug d e p. erkennbar.
Die Pufferbohle trägt zwei Guss-Stecklaternen, die mit den Steckschäften in die kongruenten Schächte der Pufferbohle unlösbar fest eingeführt sind. ( Lötung, Klebung?) Die Pufferbohle selbst trägt keine Puffer, es sind auch keine entsprechenden Öffnungen zur Aufnahme der Puffer vorhanden, Puffer waren offensichtlich nicht vorgesehen. In der Mitte der Pufferbohle ist ein schmaler Blechschlitzschacht aufgelötet, in den das Trägerblech des vorgebauten rot lackierten Cowcatchers eingeführt ist, ebenfalls nicht lösbar.
Das zweiachsige Vorlaufgestell ist bingtypisch ausgeführt und montiert. Vernickelte gusseiserne sechsspeichige Räder mit Spurkranzdurchmesser von 28 mm.
Nach seitlicher Verschiebung des Vorlaufgestells erkennbar auf der Pufferbohlenunterseite ein vergilbter Papieraufkleber ( Anlage 041) und ein roter Stempelschriftzug BAVARIA.
Zum Motor:
Nach Ausbau ist festzustellen, dass es sich um einen „ausgebeinten“ Bingmotor handelt, der mit einem neuen, modernen Elektroantriebsaggregat bestückt wurde.
Dieser neue Motor, der viele Kunststofbauteile enthält, ist durch Schraubverbindung an einem starken Messing-Winkelblech, das zwischen die Platinen eingenietet wurde, aufgehängt. (Kupfernietbolzen).
Die Stromzufuhr wird durch Entnahme des Stromes vom Gleismittelleiter mittels Rollenstromabnehmer bewerkstelligt, wobei der (vorangehendes Bild) linke Rollenstromabnehmer dem ursprünglichen 4 Volt Motormodell entspricht, der rechte ist auf eine frakturierte Ebonitplatte, die zwischen die Platinen plaziert wurde, geschraubt ergänzend montiert. Kein Federmechanismus.
Der Anker, sowie die für einen 4 Volt Schwachstrombetrieb nötigen Teile ( U-Magnetsystem ?, Feldmagnetsystem ?) und, fraglich die Zahnradübersetzung, sind entfernt. Das kleine Antriebszahnrad ist direkt auf die Achse des Ankers des neu eingebrachten Motors aufgebracht und übersetzt die Drehkraft direkt auf ein größeres Zahnrad, das wiederum eingreift in ein auf der hinteren Räderachse fest montiertes, vernickeltes Zahnrad im Spurkranzdurchmesser des hinteren Speichenrades mit einem Durchmesser von 57 mm.
Die Verkabelung ist teildefekt und auf der einen Seite original, auf der anderen Seite mit neuem, gelben kunststoffisoliertem Kabel durchgeführt.
Alle Veränderungen durch den Umbauer konnten nur durch eine zerlegende Öffnung der Platinenpfeiler auf einer Seite bewirkt werden, was durch Aufbohren der Vernietung der Platinenpfeiler erfolgte. Der Zusammenbau wiederum erfolgte durch Verschraubung der Platinenwand mit den beiden Platinenpfeilern. Dazu wurde vom Umbauer ein 3mm Gewinde in die beiden Platinenpfeiler geschnitten.
Die folgenden Bilder mögen das verdeutlichen.
Bei dieser Konstellation ist eine Rekonstruktion des Motors in den ursprünglichen Zustand wegen der vielen Fehlteile weder machbar noch angezeigt, nicht zulezt wegen des gut eingepassten neuen Motors. Diese Kröte muss geschluckt werden.
Die Maschine wird nun optisch und technisch zur beabsichtigten Inbetriebnahme überholt.
Dazu:
- Reinigung und Auffrischung des Gehäuselackes,
- Reinigung des Vorlaufgestells und aller Räder,
- Abtragung der gelblichen Nickelauflagerungen ( Raucherfolgen?) des
Dampfdoms und desTriebgestänges,
- Entfernung des Rollenschleifers mit der Ebonitplatte,
- Neuverkabelung des Motors,
- Isolationsüberprüfung und Kabelanschluß der Stirnlampe.
- Zusammenbau der Maschinenteile,
- Reinigung und Einstellen des Rollenschleifers,
- Ölung der Lager,
Probelauf: Motor beginnt zu drehen bei 3,5 Volt Gleichstrom, Steigerung der Motordrehzahl bei 4 Volt mit Erreichen einer maximalen Leistung bei 8 Volt. Bei 4 Volt beträgt der Stromverbrauch 0,4 Amp.
Da es sich um einen Allstrommotor handelt sollte der Betrieb auch mit einem Bing Wechselstromtrafo, z.B dem K I möglich sein. Dies gelingt auch im Versuch.
Zur Komplettierung Zuweisung eines Tenders, der schon lange auf eine passende Zugmaschine wartet, mit abschließender Fotodokumentation.
Abschließend stellungnehmend kann nach den erhobenen Befunden festgestellt werden:
Die vorgestellte 2 B Bing Maschine wurde in der vorliegenden Bauform 1912 auch als Uhrwerklokomotive, als elektrische Lokomotive mit Feldmagnetmotor ( Zulässige Spannung 3,5 - 5 Volt ) und auch in der "Starkstromausführung" angeboten.
Denkbar ist, dass Veränderungen an diesem Modell durch Montage typisch amerikanischer Attribute, wie die Glocke auf dem Kessel und den Kuhfänger, Stichwort Veramerikanisierung, zum Verkauf auf dem amerikanischen Markt geplant waren.
Möglicherweise deutet das d e p , vielleicht auch der Papieraufkleber mit Anlage 041 auf einen beantragten Gebrauchsschutz der Veränderungen hin. Ich denke, es ist kein Stilbruch, einen Tender mit amerikanischen Merkmalen zu ergänzen.
Der neu eingebaute Motor ist nicht in diesem Zusammenhang zu sehen, die Erscheinungsform ist ehr den 1970er Jahren oder später zuzuordnen.
Ich lass das alles mal so im Raum stehen, wohl wissend, dass auch spekulative Deutungen angedacht wurden.
Sollte jemand weiteres Informationsmaterial finden, so bitte melden.
Grüße,
R.R.