Hier ein Erlebnisbericht zur Spur-0-Tinplate-Produktion im „wilden Osten“; meine mehrfach verschobene Urlaubsreise nach Tschechien konnte ich endlich realisieren und dabei nebst alten Freunden auch MERKUR und ETS besuchen. Hier zu MERKUR:
Police nad Metuji ist ein kleines Städtchen rund 3 Stunden Autofahrt nordöstlich von Prag. Auf der Strasse von Náchod her fährt man rund 1 km vor Police an einem kleinen, alten Fabrikgebäude vorbei, bei dem der Schornstein mit der Aufschrift MERKUR auffällt. „Touristenmagnet“ ist aber das MERKUR-Museum im Ort. Es befindet sich im 1. Stock eines stattlichen alten Gebäudes. Dort im Flur hängen mehrere Vitrinen mit den Spur-0-Produkten, ein winziges Büro ist Empfang und Verkaufslokal in einem.
Die ältere Dame, die ich dort antreffe, spricht weder Deutsch noch Englisch. Mit Zeichensprache und den Bildern des Katalogs erkläre ich, was ich kaufen möchte...: sie sucht in verschiedensten Schränken nach den Wagen und der Lok und zuckt dann mit den Schultern...
Auf der Eisenbahnanlage des Museums drehen eine 2achs-Diesellok und eine Mikado-Dampflok ohne Tender ihre Kreise, Personen- und Güterwagen sind keine angekuppelt sondern stehen auf und zum Teil neben den Geleisen herum... In den Vitrinen des Eisenbahnraums sind Loks und Wagen von MERKUR (alt und neu), Troika, Ikaria, Chemplast, usw. ausgestellt – manchmal nicht einmal richtig aufgegleist. Alles wirkt irgendwie improvisiert, mit minimalen Mitteln hergerichtet. Irgendwie fühle ich mich wie in die 1980er Jahre vor dem Fall des ‚eisernen Vorhangs’ zurückversetzt, das abgewetzte Innere des Hauses verstärkt den Eindruck noch...
Fotos des Museums auf der Webseite von MERKUR: http://www.merkurpolice.cz/ocelove-mesto-rok-2000-az-2010
Liebhaber der Metallbaukasten kommen viel mehr auf ihre Kosten: der Eifelturm, eine Zeche-Förderanlage, in einem Raum eine riesige burgähnliche Fantasy-Konstruktion, viele Schaukästen mit alten Prospekten und Kartons der Baukästen von Meccano, Inventor, Archimedes, usw. In einem weiteren Raum schliesslich 2 grosse Tische mit haufenweise Metallbaukasten-Material: Gross und Klein kann sich hier kreativ austoben, was intensiv genutzt wird – eine tolle Idee und eine gute „Kauf-Animations-Massnahme“ im Gegensatz zum Spur-0-Sektor!
Kurz bevor ich das Handtuch werfe, taucht eine junge Angestellte auf, die ein paar Brocken Englisch spricht. Auch sie sucht nach meinen gewünschten Sachen, genauso erfolglos. Aber nach einigem Hin-und-Her und meinem Insistieren macht sie mehrere Telefonate und teilt mir dann überraschend mit: „tomorrow, 10 morning, meet Mr. Kříž...“. Zum Glück hatte ich einen „Reservetag“ um die landschaftlich schöne Gegend zu erkunden....
Am nächsten Tag dann die Überraschung: fast pünktlich taucht Herr Kříž senior auf, wir fahren in die Fabrik (mit dem markanten MERKUR-Kamin) ausserhalb von Police wo mich sein Sohn Jaromir Kříž empfängt (Vater und Sohn sind zusammen die Geschäftsführer von MERKUR). Die Spur-0-Produktion ist Steckenpferd von Jaromir, sein Büro ist mit mehreren Vitrinen voller Prototypen und Serienmodellen von Loks und Wagen dekoriert, Kisten mit Schienen und Metallbaukästen stehen herum, ein kreatives Chaos. Er zeigt mir seinen neusten Wurf: eine Co-Co Ellok der ČD Baureihe 182, früher ČSD Baureihe E 669.2, in Cargo-Lackierung (wenige Tage nach meinem Besuch erschien diese Lok auf der Webseite von Merkur, siehe: http://www.merkurtoys.cz/de/produkte/dre...engleis-systeme ). Im Anschluss zeigt mir Jaromir während fast 3 Stunden die beiden Fabrik-Standorte, erklärt mir die Funktion der einzelnen Metallbearbeitungsmaschinen, sitzt mit mir ins Büro des CAD-Zeichners, usw. (!). Dort stehen viele Entwürfe und Prototypen herum, „man muss halt was ausprobieren“ meint Jaromir „und manchmal passt’s dann eben nicht...“. Auf dem PC ein riesiges Archiv von Fotos und Zeichnungen verschiedenster Loks und Wagen des grossen Vorbilds; „Inspirationen!, good for new ideas, maybe something becomes a MERKUR-product...“, wie Jaromir lachend erklärt. Während Jaromir mit mir am PC sitzt, steht der CAD-Zeichner geduldig daneben. „Halten wir dich von der Arbeit ab?“ „Ja, aber er ist der Boss.... der darf das!“ Ob der vielen Entwürfe und dem Chaos im Büro meint der Mitarbeiter „wir spinnen hier alle ein wenig....!“ Gelächter. Jaromir stimmt zu.
MERKUR ist an sich einfach eine Metallbearbeitungs-Werkstätte, die Produkte für verschiedenste Auftraggeber herstellt. Bei meinem Besuch wurden gerade Klimaanlage-Gehäuse für Renault-Autobusse hergestellt. An einer CNC-Maschine waren Teile für Alstom in Bearbeitung. 85 % der Spielzeugproduktion betrifft die Metallbaukästen – und somit nur ein kleiner Teil die Spur-0-Produktion. Dampfmaschinen und das Kinder-Dreirad, Schubkarre, usw. sind Nebenprodukte. Sobald jeweils ein paar Kronen verdient sind oder wenn wieder ein paar Euro EU-Fördergelder kommen, bauen die Kříž’s aus, kaufen neue Maschinen, usw. Deshalb steht im Werk eine modernste Funkenerosions-Maschine neben einer Uralt-Drehbank (welche aber, so betont Jaromir, tadellos funktioniert, genutzt und gepflegt wird – good old quality!). Überhaupt: die Werkstätte ist sauber und aufgeräumt.
In einem mit Halbfabrikaten vollgestopften Raum sitzen 4 Mitarbeiter und setzen von Hand Loks und Wagen zusammen, im Nebenraum eine kleine Testanlage.
Die Beschriftung der Spur-0 Loks und Wagons erfolgt im Tampondruck. Jaromir stellt die Vorlagen selber her. Leider ist die Qualität nicht immer überzeugend: ich will ein paar der DB 2achs-Schüttgutwagen kaufen aber von 10 Stück, die er aus dem Lager bringt, haben 7 kleine Fehler im Druck... Dafür sind die 4achs SNCF-Personenwagen tadellos bedruckt.
Man lerne erstens: geht man ins Museum und will dort im Shop ein paar Sachen kaufen, die nicht vorrätig sind (und das ist fast alles!), muss man die Damen überzeugen, einem Zugang zum richtigen Lager zu organisieren. Dort hat es nämlich jede Menge. Und zweitens: der Ansatz von Lastra hier im Forum ist der richtige: nach Police fahren, die Stücke anschauen, also vor Ort kaufen wenn man kann. Dies macht auch Sinn, weil die Webseite nicht auf dem alleraktuellsten Stand ist: MERKUR verändert manchmal Details an der laufenden Produktion.
Die beiden Dampfloks, die ich mitnehme, haben richtige TinPlate Räder: breite Laufflächen und hohe Spurkränze. Sie fahren tadellos auf meinen BUCO-Schienen. Anders sieht es mit den Wagen aus: Wie schon swfreund schrieb, hat Merkur „das Rad neu erfunden“: ein Zwischending halb TinPlate, halb modellmässig. Die Wagen laufen zwar auf meinen BUCO-Schienen, bei den Weichenzungen wird es aber grenzwertig. Sind diese nicht perfekt eingestellt, kommt es zu Entgleisungen. Ich wies Jaromir auf dieses Problem hin (wie es schon swfreund bei ETS getan hat). Aber Jaromir meinte, er müsse aus Kostengründen einen Kompromiss machen, der mehr oder weniger für hohe und niedere Schienenprofile, für 2- und 3-Leiter passe...
Zum Schluss noch etwas für Mutige: wer eine Lok will, die es im Merkur-Sortiment noch nicht gibt: grundsätzlich kein Problem, Merkur kann die herstellen. Jaromir erklärt, dass dies ab einer Serie von ca. 200 Stück machbar ist. Voraussetzung ist wohl, dass eine solche Lok im „Merkur-Stil“ geplant wird, wohl möglichst so, dass schon bestehende Teile übernommen werden können (Baukasten-Prinzip).
Schwierig ist die Kommunikation: Herr Kříž senior spricht nur wenig Deutsch und kaum Englisch, bei Jaromir ist es umgekehrt...
Mein Fazit: Ob man den (heutigen wie früheren) etwas simplen MEKUR Tin-Plate Spur 0 Stil mag, ist Geschmackssache. So oder so darf man gespannt sein, was von MERKUR in Spur 0 noch kommt; Jaromir steckt jedenfalls voller Ideen.... Ja, die Produktion ist nicht perfekt, die Wagen-Räder sind ein Ärgernis, es gäbe noch das eine oder andere in Richtung Blechbahn-Kompatibilität zu verbessern – aber wo sonst bekommt man einen stattlichen, 39cm langen Spur-0-Reisezugwagen für 42 Euro? Wer etwas handwerkliches Geschick hat, kann die Sachen auf- und umrüsten, siehe z.B. den Beitrag von lok52105: Umbauwagen . Und wenn beim Schraubern mal etwas schief geht, ist nicht gleich das Jahresbudget für’s Blechbahnern dahin...!
So, genug geschrieben...