Hallo Klaus und alle anderen Mitleser und Forumisten,
ich komme der freundlichen Einladung mit großer Freude nach!
Ich kann hoffentlich etwas Erhellendes beisteuern:
Ja, es stimmt, dass der Dörfler- Adlerzug von einem Märklin- H0- Motor angetrieben wird. Es ist der Motor der V 200 (#3021). Das hatte diese triftigen Gründe:
- es ist ein Allstrommotor (verdaut also Gleichstrom UND Wechselstrom)
- der Achsabstand stimmt mit dem Original- Abstand des echten Märklin- Adlers überein
- die Achsen ließen (und lassen) sich abziehen und durch passende Zahnräder ersetzen
- der Motor (eigentlich Antriebsdrehgestell) war in ausreichender stückzahl bei Märklin ab Ersatzteillager erhältlich. Die 3021 war eine sehr gängige Lok und außerdem Bestandteil einer Startpackung (für den "fortschrittlichen Modellbahner" ohne Trafo, dafür mit mehr Schienen).
Der Erbauer sämtlicher Märklin- Adler (von allen Fahrzeugen - also Lok, Tender und die drei Wagen) war der ehemalige Mechaniker und reparateur der Firma Eisenbahn Dörfler, Herr Kestler. Seine Frau lackierte die Figuren des Zuges in hingebungsvoller handarbeit immer abends beim Fernsehen gucken. Frau Kestler war auch seinerzeit Verkäuferin im Laden. Sie meinte, das Bemalen der Figuren mache ihr mehr Spaß als das ewige Stricken - ihre Kinder wüßten schon nicht mehr, wohin mit den ganzen Mützen und Handschuhen...
Die Sonnen-(oder, je nach Wetterlage auch Regen-) schirme der weiblichen Fahrgäste sind übrigens gefedert. Das ist so, damit dieselben nach mehrmaligem, versehentlichem(?) Daranstoßen nicht schief stehen.
Die Züge wurden in der heimischen Werkstatt von Familie Kestler in Nürnberg- Gartenstadt in Handarbeit hergestellt. Alle Bleche wurden aus Messingblech herausgeschnitten, gebogen, lackiert und zusammengesetzt. Lediglich die Räder, der Motor (wie vorhin beschrieben), die Türgriffe an den geschlossenen Wagen und einige wenige Kleinteile wurden zugekauft (anfangs von Märklin - Spur 0- Ersatzteile waren dort noch jahrelang ab Ersatzteillager erhältlich).
Der Schornstein der Lok ist tatsächlich abnehmbar: zum einen, weil das beim Originalzug auch so war und zum anderen, damit die Lok in die zugehörige Kiste paßt. Die Kisten wurden von Herrn Kestler ebenfalls selbst hergestellt. Das Deckelbild (es gab wohl mindestens drei verschiedene) stammte von alten Kalenderbildern der hiesigen Stadtsparkasse! Herr Kestler (und die restliche Familie sowie alle sonstigen Kolleginnen - dort war seinerzeit eine "Damenriege" im Laden beschäftigt) klapperte die Sparkassenfilialen ab und staubte im Spätfrühling (so ca. April - Mai) die liegengebliebenen Kaldender ab und führte sie einer sinnvollen Verwendung zu ("Dann brauchen Sie sie nicht auf den Müll zu schmeißen und ich trag die auch noch selber").
Herr Kestler fertigte die Züge auf Bestellung (bzw. es wurde abgewartet, bis ausreichend Bestellungen eingingen - so ca. ab 5 stück war eine Auflage rentabel). Er produzierte jedoch - je nach eigener Form und Fremdteilelage - ein bis zwei Züge mehr, falls sich jemand bei einem zufälligen Besuch im Laden in einen solchen Zug spontan verlieben sollte (ja, es gibt sie doch noch, die Liebe auf den ersten Blick...).
Und woher hatte Herr Kestler wohl die Maße für den Nachbau? Eigentlich logisch: Herr Dörfler senior (bzw. seine Tochter, Frau Dörfler) hatte privat einen Original- Adler. Herr Kestler durfte leihweise einen solchen Zug zur Bemaßung desselben mit nach hause nehmen.
Zum Dörfler- Adler noch eine kleine Anekdote (hatte mir Herr Kestler selbst erzählt):
Eines Tages zur Spielwarenmesse kamen einige Herren der Firma Märklin in den Laden. Allen voran Herr Safft, welcher fragte, wer so vortrefflich den Adler- Zug nachbauen würde. Herr Kestler antwortete: ich! Herr Safft fragte daraufhin, ob er (Herr Kestler) bei der nächsten Auflage einen Zug für das Märklin- Museum machen könnte. Der echte wäre ihm (also Herrn Safft) fürs Ausstellen zu schade, zumal die Firma Märklin keinen Serienzug, sondern "nur" den Prototypen hätte, und bei dem stimmen gegenüber dem Serienfahrzeug einige Details nicht. Herr Kestler war hoch erfreut einverstanden! Herr Safft hatte Herrn Kestler auch sozusagen "autorisiert", den Adler- Zug in Spur 0 herzustellen, ohne irgendwelche Repressalien fürchten zu müssen (Zitat:"Seit wann werden Künstler für ihr Werk bestraft?")! Ist das Gentlemen's agreement oder was?
Ich hoffe, jeder Besitzer eines Dörfler- Adlers ist sich dessen bewußt, welche Heidenarbeit in jedem dieser Züge steckt. Und was auch immer ein solcher Zug gekostet hat: er ist es allemal wert!
Und daß - ausgerechnet - ein Laden in Nürnberg den Adler- Zug aus eigenem Engagement hergestellt hat, ist zum einen in der Sache selbst begründet (hier fuhr nun mal die erste Eisenbahn in Deutschland - Lokalkolorit schwingt da mit) sowie der Tatsache, dass Märklin von den Adler- Zügen wohl selbst nur herzlich wenige hergestellt hatte (mal ehrlich: wer wollte einen Zug kaufen, den es nur einmal gab, mit dem man - wg. Handschaltung - nur erschwert rangieren konnte und der nicht einmal eine Fixkupplung hatte und wo hinter der Lok alle anderen Wagen ein bißchen seltsam ausgesehen haben). Zumal das "Hobby Modelleisenbahn", wie es heute gefrönt wird, damals eher eine Randerscheinung darstellte (elektrische Eisenbahn war Kinderspielzeug).
Herr Kestler fertigte auch für einige Spur 0- Stammkunden (alles ältere Herrschaften) noch später einige entsprechende Fahrzeuge (vorzugsweise Wagen - die brauchen halt weder Motor noch Schleifer...), so z. B. einen vierachsigen Spur 0- Güterwagen mit halbhohen Wänden sowie als Niederbord- und Rungenwagen.
Vom 50 tons- Wagen wird er auch nur eine handvoll gebaut haben. Das ist zum einen im Verkaufspreis begründet und zum anderen, dass Märklin neben der CCS und der GR keine "gelernte" Güterzuglok im Programm hatte. Dann auch die - damals wie heute- leidige Platzfrage: wer ist Besitzer einer Turnhalle und kann einen Zug von 5 - 10 Wagen nebst Lokomotive unterbringen?
Die Dörfler- Modelle sind sehr leicht identifizierbar: jedes trägt einen Aufkleber unter dem Röckchen - pardon, am Boden mit der Aufschrift "Dörfler- Modell". Es wurden auch Modelle in Spur H0 hergestellt (das waren sogar etliche - das reicht von einer simplen Umlackierung bis zur vollständigen Konstruktion). Doch mehr darüber, wenn wir uns wieder schreiben.
Ich beantworte auch gerne Fragen, auch per PM (PN?).
Viele Grüße aus Nürnberg und noch einen guten Abend
Stefan