Hallo zusammen
Als ich im Jahr 1993 zum zweiten Mal in die USA flog und mir dort ein Lionel-Startset als Souvenir besorgte, habe ich mir im Modellbahnladen in Chicago auch ein paar Ausgaben des "Classic Toy Trains Magazine" aus dem Kalmbach Verlag mitgenommen, um ein wenig über die dortige O-Gauge-Szene zu erfahren. Classic Toy Trains ist sozusagen die "großspurige" Schwester des Model Railroader. Bei der Lektüre dieser Zeitschriften kam ich zum ersten Mal in Kontakt mit den anderen Herstellern, K-Line, MTH, Weaver und auch Williams, die dort jeweils großformatige Anzeigen geschaltet hatten. Die Konsequenz daraus folgte im nächsten Jahr, da war ich wieder drüben auf der anderen Seite des Teichs. In New Orleans habe ich mir eine K-Line Alco FA2 und weitere Ausgaben des CTT ins Gepäck gelegt. Damit war ich endgültig süchtig geworden und habe nach meiner Rückkehr weiterführende Schritte unternommen, das Classic Toy Trains Magazine abonniert und ich bin Mitglied im K-Line Collectors Club geworden. So konnte ich tiefer in die Materie einsteigen. Die Anzeigen, speziell die von Williams, waren hochinteressant. Aus einem Angebot eines Händlers kam dann die erste Lokdieses Herstellers zur mir, eine Fairbanks-Morse "Trainmaster" in der grau-braunen Lackierung der Canadian Pacific.
Die über viele Jahre gesammelten Ausgaben des CTT-Magazines habe ich immer noch, die sind immer wieder gern gelesen. Kommen wir langsam zur Geschichte von Williams. Meine erste Begegnung, wenn ich mich recht erinnere, hatte ich mit dieser Firma mit einer Anzeige in meinem ersten, eigenen Model Railroader aus dem Jahr 1979. Da wurde ein Bausatz einer verkürzten GG1 E-Lok mit silbernen Personenwagen beworben. Ist mir aufgefallen, fand ich interessant, seinerzeit konnte ich mit dem 3-Leiter Tinplategleis nicht viel anfangen und dachte auch an astronomische Preise für derartige Produkte. Im CTT in den 90ern hatte Williams immer mindestens eine halbe Seite, meist aber eine bis vier Seiten Angebote.
Gründer und Namensgeber der Firma war Jerome M. Williams (Jerry Williams), seit den frühen 60er Jahren Sammler von Standard Gauge Lionel und Ives Eisenbahnen. 1969 gründete er mit seinem Sammlerkollegen Fred Mills die Firma Classic Models Corp., und produzierte Tinplate-Modelle in Standard Gauge im alten Stil, jedoch mit bislang nicht erschienen Vorbildern.
http://www.tcawestern.org/cmc.htm
1971 stieg Jerry Williams bei CMC aus und gründete seine eigen Firma Williams Reproductions. Williams sah einen Markt für hochwertige Reproduktionen von alten Lionel und Ives Modellen. Anfangs wurden nur Teile zum Restaurieren gefertigt, später auch komplette Reproduktionen seltener Modelle. Das Geschäftsmodell war durchaus erfolgreich, die Tinplate Bahnen in kleinen Auflagen hatten schnell ihre eigene, treue Anhängerschaft. Jerry Williams beschäftigte damals auch die Jugend aus seiner Siedlung, die Teile zusammenbauen mussten. Einer dieser Mitarbeiter war der damals 12-jährige Mike Wolf, der viele Jahre später einen Modellbahnladen namens Mike's Train House eröffnete und sukzessive eigene Modelle unter dem Label MTH herausbrachte. MTH übernahm später auch die Werkzeuge von Williams für die Standard Gauge Modelle.
Mitte der 70er Jahre sah Jerry Williams einen Markt für Replikate von klassischen Spur-0 Modellbahnen aus der Post War Ära, eines seiner ersten Werke war die GG1 im Lionel-Stil aus Gussmetall, der Fairbanks-Morse "Trainmaster" Diesellok und Kopien der sog. "Madison" Personenwagen von Lionel aus der direkten Nachkriegszeit, deren Originalformen nicht mehr erhalten waren.
1977 folgte die erste Neuentwicklung einer Spur-0 Lok seit der Demise von Lionel im Jahr 1969 und der Übernahme durch General Mills. Williams hatte sich die damals neueste E-Lok der Amtrak ausgesucht, die GE E60CP. Diese wurde zunächst als Gehäusebausatz realisiert, für die Komplettierung wurde noch die Antriebseinheit samt Drehgestelle einer Lionel Diesellok GP-9 benötigt. Im Laufe der Jahre kam die E60 auch noch mit Williams Antrieb und dem Vorbild entsprechend mit sechs Achsen. Produziert wurden über die Jahre mehrere Auflagen, neben Amtrak gab es auch vorbildlose Versionen anderer Bahngesellschaften. Aus meiner ursprünglichen Sammlung ist die bemerkenswerte E60CP das einzige, überlebende Lokmodell.
Williams hatte ein gutes Händchen im Erkennen neuer Trends auf dem Markt, gegen Ende der 70er Jahre sah er einen Bedarf an hochklassigen Modellen großer, detailgetreuer Dampflokomotiven. Diese wurden in relativ kleinen Auflagen zusammen mit dem traditionsreichen, koreanischen Kleinserienhersteller Samhongsa realisiert. Aus meinem Fundus kann ich hier die teilverkleidete Pennsylvania K4 zeigen.
Gegen Ende des Jahres 1980 hatte Williams die Gelegenheit, die Formen der Hersteller AMT (American Model Toys / Auburn Model Trains) und Kusan von Andy Kriswalus zu übernehmen, der nach einem Herzinfarkt und auf Grund der sinkenden Nachfrage seine Firma Kris Model Trains (KMT) auflösen musste. Enthalten waren hier die Formen für eine EMD F7 Diesellok, diverse Güterwagen von AMT, und Semi-Scale (O27) Modelle der Kusan K-Serie. Für die F7 wurde ein neues Fahrgestell konstruiert. Die K-Güterwagen wurden direkt als Bausätze ohne Drehgestelle auf den Markt gebracht, nach der Reparatur der Drehgestell-Gussform auch als vollständige Fertigmodell, auch zusammen mit der F7 als Set.
1980 kam auch noch ein neues Lokmodell in die Läden, eine EMD GP7, die stark an die entsprechende Lionel-Konstruktion angelehnt war. Die war auch bestandteil von Setpackungen zusammen mit den Madison-Wagen.
Von den von Kriswalus übernommenen Formen bildeten bald die gedeckten Güterwagen (Boxcars, Reefer) das Basisprogramm. Die Form stammt ursprünglich von AMT aus dem Jahr 1952. Die Wagen sind größer als die 6464-Boxcars von Lionel und passen hervorragend zu den größeren maßstäblichen Dieselloks.
1985 verkaufte Williams die K-Series Formen von Kusan an Maury D. Klein, der in North Carolina unter dem Namen MDK K-Line anfing, Spur-0 Bahnen im günstigen Preissegment anzubieten.
In der "Golden Memories Serie" folgten weitere Lionel Replikas, z.B. die klassische EMD F3 als A und B-Units und neue Reproduktionen von Lionel-Güterwagen.
Bemerkenswert ist die Numerierung der Güterwagen, deren Betriebsnummern die Bestellnummern der kopierten klassischen Lionel Modelle sind. Die Drehgestelle sind Nachbildungen der entsprechenden nicht durchbrochenen Lionel-Teile (Bar-End Trucks).
Im Laufe der 90er und frühen 2000er Jahre kamen noch viele neue Artikel, Replikas von Lionel Dampfloks und Eigenkonstruktionen (Dash-9 Dieselloks, Alco PA/PB, Baldwin Shark, EMD NW2 Rangierloks, Pennsy Turbine, Kunststoffpersonenwagen, Metroliner Triebwagen, Doppelstockwagen und Amfleet-Wagen aus Aluminium in verschiedenen Längen usw.).
Hier noch ein Blick auf die klassischen Williams Schnellzugwagen (alles Lionel Replikas). Ziunächst die "Madison"-Wagen. Das sind 6-achsige Heavyweights, gebaut nach Vorbilder von schweren Schnellzugwagen der 1920er Jahre. Die Originale von Lionel waren meist braun und aus Bakelit gefertigt. Die von Williams sind bunt und aus Kunststoff. Beim Kauf sollte man beachten, daß es verschiedene Bauserien gab. einige hatten einen blinden Radsatz in der Mitte, spätere hatten 6 Achsen mit Spurkranz. Einige Auflagen waren auch in Hochglanz lackiert (um 1998).
Hier die aus gewalztem Aluminium produzierten Stromlinienwagen. Auch die waren getreue Nachbildungen des Lionel-Vorbilds. Und auch hier ist beim Kauf Vorsicht geboten, ältere (frühe) Modelle rollen denkbar schlecht, zum Teil ist die Kupplung ohne Funktion (kuppeln tut sie aber) oder sie hängt aus unerfindlichen Gründen schräg nach unten. Bilder der Verkaufsseite genau beachten! Weiße einfache Kartons mit Williams-Aufdruck deuten auf alte Wagen hin!
Im folgenden Bild sieht man ein Beispiel für die besagte funktionslose und herabhängende Kupplung (der Wagen ist ein Bastelmodell und hat weniger als 20€ gekostet):
Es gab immer wieder Kataloge, in den 1990er Jahren waren es aber hauptsächlich vierteljährlich erscheinende Faltblätter mit den aktuellen Angeboten.
Im Jahr 2007 verkaufte Jerry Williams seine Firma an den Hersteller Bachmann und ging in den wohlverdienten Ruhestand. 2016 wurde er in die Model Railroaders Hall of Fame aufgenommen. Am 1. November 2016 verstarb Jerry Williams im Alter von 79 Jahren. Seitdem wird das Williams by Bachmann Sortiment Schritt für Schritt zusammengeschrumpft und ist heute nur noch ein Schatten seiner selbst. Jerry Williams musste das Gott sei Dank nicht mehr miterleben. Wer möchte, kann sich auf der Webseite von Bachmann vom traurigen Rest überzeugen.
Williams ist einer der ersten Hersteller, die nach dem Ende der sog. Post War Ära die Fahne der Tinplatebahnen hochgehalten hat und war später einer der großen Vier neben Lionel, MTH und K-Line. In seiner Firma vereinten sich die klassischen Nischenhersteller AMT, KMT und Kusan, sein Formentransfer an MTH und seine persönlichen Verbindungen zu Mike Wolf stellen eine weitere Verknüpfung dar, ebenso der Verkauf der K-Formen an MDK. Seit der Pleite von K-Line und der Übernahme der Formen durch Sandakan, resp. Kader Industries, sind heute auch einige ehemalige K-Line Modelle im Williams Sortiment zu finden.
Williams war der einzige Hersteller, der sich zeitlebens der Digitalausstattung verweigert hat. Das bescherte Williams eine treue Anhängerschaft von Analogfahrern, allerdings blieb ihm dadurch auch ein Teil des Marktes verwehrt. Die hohe Qualität der Williams-Modelle macht sie auch heute noch zu sehr beliebten Betriebsmodellen im klassischen Stil, die wunderbar auf eine Anlage mit Tinplategleisen passen. Die Preise für gebrauchtes Material sind nach wie vor recht günstig.
Hier noch ein Link zur Train Collector's Association (TCA) mit weiteren Bildern zu Williams.
http://www.tcawestern.org/williams.htm
Die oben gezeigten Modelle sind aus meiner aktuellen Sammlung und Modelle, die ich vor ca. 10 Jahren leider verkauft habe.
Martin