Hallo,
ich habe diesen alten Thread heute einmal ausgewählt, weil ich mir auch diesen Zug zugelegt habe. Einschließlich der Kartons noch sehr gut erhalten, auch der einzelne Zwischenwagen, natürlich ein Abteilwagen! Mittlerweile weiß ich aus sicherer Quelle, dass eine Betriebsanleitung werksseitig wohl gar nicht vorgesehen war und auch nicht immer Abziehbilder und Embleme beigelegt worden sind, während es wiederum andere Packungen gab, in denen sich diese Sachen mehrfach befunden haben. Na ja, die Firma hatte ja auch nach allem, was man so weiß, eine bewegte Geschichte und vllt. hatten sie manchmal halt keine Abziehbilder zur Hand? So wie manchmal in der DDR? Dann wurde einfach ohne diese Teile ausgeliefert...
Ich wollte den Zug schon als Kind haben. Gut aber, dass er so teuer war und ich ihn damals nicht bekommen habe. Kinder macht dieses Fahrzeug nämlich garantiert nicht glücklich. Dennoch gibt es heute noch gute, weil unberührte Exemplare: Die reiferen Käufer gingen meistens sorgfältig damit um und so landeten die Züge in der Vitrine, oder noch besser: direkt in der Ablage des geneigten OVP- Staplers!
Also, schauen wir uns das Bockerl einmal mit den Augen des erfahrenen Märkliners an: Der äußere Eindruck ist- vor allem gemessen an der Entstehungszeit vor 1970- schon einmal sehr positiv. Das war damals die definitive Oberliga. Heute sehen wir da natürlich dicke Kesselnieten, aber halt: Damals war das Feinstdetaillierung. Auch die Proportionen des Zuges begeistern, die charakteristische Form des Vorbilds ist bestens nachempfunden. Optisch ist es noch heute ein Hingucker, auch die Beschriftung ist o.K. Eine interessante Sache sind die Gummiübergänge zwischen den Waggons, damals war so etwas ja noch nicht Standard. Somit ist es ein richtig gelungenes Modell.
Setzen wir den Lindwurm nun aufs Gleis, stellt sich die Frage, warum der Erbauer hier zu den Jacobs- Drehgestellen gegriffen hat, ich sehe nämlich keine zwangsläufige Notwendigkeit dazu. Aber warum nicht? Schaden wird es wahrscheinlich nicht. Bei meinem Exemplar hat sich nur eine Achse aus der Plastikaufhängung gelöst, weil die beiden Achslager aus ungeklärtem Grund etwas zu weit aufgespreizt sind. Damit sind wir schon bei dem hauptsächlichen Manko des Zuges! Das Gefährt ist "irgendwie zu leicht" konstruiert, man meint, da seien Gewichte ausgebaut worden. Das wirkt irgendwie billig und improvisiert. Die Achslager müssten entweder eine Verbindung zwischen den Seiten haben oder wie bei Märklin eine sauber konstruierte Achshalterung aus Stahlblech unter den Kunststoff- (Show)- Achslagerblenden.
So aber ist dies jedenfalls ein absehbarer Quell des Ärgers im Fahrbetrieb. und so geht es konstruktiv dann auch weiter. Bei meinem Exemplar ist das Getriebe nun noch in Ordnung, aber dies scheint Glück zu sein. Der Versuch, daraus einen Kilometerkönig zu machen, sollte wirklich unterbleiben, dann wird auch dieses Getriebe ein treuer Freund, nehme ich an. Dazu der Motor. Nein, einen Vergleich mit z.B. den Trix- Perma- Motoren aus der gleichen Epoche lasse ich jetzt bleiben. Lohnt nicht. Bei einem Hochpreismodell konnte man aber 1970 wirklich etwas anderes erwarten als dieses Triebwerk, das zu finden ich eher in japanischem Billigspielzeug jener Zeit erwartet hätte. Aber, immerhin, laut ist der Geselle nicht, obwohl wahrlich genug Resonanzkörper vorhanden ist.
Der Zug fährt recht angenehm seinen vorbestimmten Weg. Ich habe keine Weichen eingebaut, nur ein großes Oval auf dem Tisch. Diese unsaubere Verlegungsart quittiert die Fuhre mit Schüttelbewegungen, ganz so, als ob ihr das unangenehm wäre. So entgleist das Gefährt denn auch mal in der Kurve, was ich jetzt nicht einmal auf das Fahrwerk beziehe, sondern auf die fehlenden Gewichte bzw. die Leichtbauweise.
Eines der Rücklichter funktionierte nicht. Die Nachschau brachte dann die nächste Besonderheit zutage: Eine Birne pro Zugseite für das Spitzensignal, aber zwei rote Birnen für die Schlusslichter. Warum nicht? Aber: Alle vier roten Birnchen des Zuges sind einheitlich mit roter Farbe bepinselt oder in eine solche getaucht worden. Wahrscheinlich haben 100 rote Birnen drei Pfennige mehr gekostet und da war es billiger, sie selbst anzumalen? Ich geb's ja zu: Immer wenn ich so etwas sehe, schaue ich gleich, ob vllt. noch Kaffeeflecken am Lack oder Brötchenkrümel im Getriebe sind...
Ergebnis: Der Ortwein Trans Europ Express ist ein sehr schönes Modell, auch heute noch, erinnert aber in Konstruktion und Fahrverhalten an die Allüren eines schönen Mädchens von allerdings etwas billiger Herkunft, das sich für eine Diva hält. Insofern ist er ein wirklich begehrenswertes Modell, an das man aber nicht eins zu eins die gleichen Erwartungen wie an Märklins RAm stellen darf. Wer dies beachtet, wird mit dem Zug bestimmt glücklich.
Es tauchen immer wieder sehr gut erhaltene Exemplare auf, da kann man jetzt noch zugreifen!
'Herzliche Grüße
Johannes