Hallo zusammen,
morgen macht die letzte betriebsfähige Mallet im Harz, die 99 5906 ihre Abschiedsfahrt wegen Fristablauf des Kessels. Obwohl die HSB in den letzten Jahren viel in Rahmen und Zylinder investiert hatte, will man nun den Kessel nicht wieder aufarbeiten. Das trifft mich besonders, habe ich doch gerade zu dieser Lok ein ganz besonderes Verhältnis! So ist sie wie ich, in Karlsruhe gebaut und fast baugleiche Lokomotiven, waren einst auch auf meiner damaligen Heimatstrecke, der Albtalbahn im Einsatz.
Albtalbahn Lok 5s (Karlsruhe 1897 / Fabr.-Nr. 1478) aufgenommen in meinem Geburtsjahr 1961 in Ittersbach
Ich habe die Albtalbahn-Mallets zwar als Kind selbst nicht mehr bewußt im Einsatz erlebt (Lok 7s wurde als Letzte 1963 abgestellt) aber die im ehemaligen AW Busenbach abgestellten Schmalspurfahrzeuge haben mich immer fasziniert. Später fand ich dann die 7s abgestellt im Gaswerk Karlsruhe
AVG Lok 7s am 02.04.1980 im Gaswerk Karlsruhe
Die Lok stand dann von 1980 bis 1995 auf einem Spielplatz im Rheinstrandbad Rappenwörth bei Karlsruhe. Nach der Wende wollte der Deutsche Eisenbahnverein in Bruchhausen Vilsen (DEV) die Harzer 99 5906 erwerben. Man wollte diese aber wegen ihrer technisch kulturellen Bedeutung für den Harz nicht herausgeben und so wurde dem DEV im Tausch die ex AVG Spielplatzlok vermittelt. Sie ist seitdem in Bruchhausen Vilsen in Aufarbeitung. 99 5906 konnte so im Harz bleiben.
Nach dem Erwerb des Führerscheins war es mir ab 1980 möglich, im kleinen Grenzverkehr mit der DDR, auch die Harzquerbahn und Selketalbahn zu besuchen. Obwohl Luftlinie nur wenige Kilometer vom neuen Wohnort in Harznähe entfernt, war es mangels Grenzübergang immer ein gewaltiger Umweg über Helmstedt/Marienborn oder Duderstadt/Worbis um in den Ostharz zu kommen. Auf den schlechten Straßen habe ich mein erstes Auto bei den zahlreichen Fahrten dabei völlig verschlissen.
Vor 42 Jahren, am 16.08.1980 begegnete ich ihr dann das allererste Mal: 99 5906 bei Mägdesprung
Besonders mühsam waren die Harzfahrten im Winter, da man in der DDR ein anderes Verhältnis zum Straßenräumen hatte als bei uns im Westen. Ich bin aber immer lieber auf den festgefahrenen schneebedeckten Straßen gefahren als im salzgetränkten Matsch der perfekten Weststraßen
Links 99 5906 und im Hintergrund 99 5903 am 13.02.1983 in Alexisbad
An diesem Wochenende macht nun die 99 5906 ihre letzten Fahrten, bevor sie im Lokschuppen Hasselfelde als Ausstellungsstück abgestellt wird. Ihre letzte Fahrt findet morgen mit einem Sonderzug statt. Sehr gerne wäre ich da mitgefahren um meiner langjährige Lieblingslok die letzte Ehre zu erweisen. Die Fahrt ist aber schon lange ausverkauft und wäre für mich aber leider auch wegen der Maskenpflicht nicht in Frage gekommen, da meine ärztlichen Maskenatteste aus politischen Gründen meist nicht mehr akzeptiert werden. So bin ich also gestern ein letztes Mal in den Harz gefahren um eine Mallet im Plandienst auf der Selketalbahn zu erleben. Ich hatte gehofft, dass die Strecke an einem Freitag noch nicht so überlaufen ist, aber ich hatte die Beliebtheit dieser Lok wohl unterschätzt, denn es war der Bär los. Die Züge waren teilweise überfüllt und lange Autoschlangen aus aller Herren Länder verfolgten die Züge, so dass man kaum irgendwo einen Parkplatz in Streckennähe fand. So habe ich mich auf einige wenige Fotopunkte konzentriert und diese in aller Ruhe vor allen Anderen angefahren.
Es begann am 13.05.22 in Quedlinburg. Der 13.05. ist für mich ein besonderer Tag. Vor 25 Jahren starb an diesem Tag meine Mutter und zwei Jahre später machte ich am 13. Mai meine letzte Fahrt als Dampflokführer bei unserer Museumsbahn. Als ich damals in der Nacht zum letzten Mal von der Lok stieg, stellte ich fest, dass es zufällig genau die Todesminute meiner Mutter zwei Jahre zuvor war...
99 5906 mit P8962 am 13.05.2022 bei der Einfahrt in Quedlinburg
P8963 bei der Ausfahrt. Das Gelände um das schöne alte Empfangsgebäude wird gerade verschlimmbessert...
P8964 in Mägdesprung. Zeitweise war wegen Rauch nichts mehr zu sehen, doch gerade noch zur Abfahrt lichtete sich der Nebel aus reinsten EaudecoLokne
Das Bahnhofsgebäude wird gerade renoviert. In einem Zelt gab es leckere Bratwürste. Hoffentlich wird nach Fertigstellung wieder die alte gemütliche Bahnhofsgaststätte in Betrieb genommen, denn an Einkehrmöglichkeiten in Bahnnähe fehlt es irgendwie in der Region
Mittagspause in Gernrode. Während die Lok ausgeschlackt wurde und frisch mit Wasser und Kohle versorgt wurde, konnte man das Museum des Freundeskreis Selketalbahn e.V. im Hintergrund besuchen
Die Bekohlung findet sich im hinteren Bereich des Bahnhofs Gernrode. Im Hintergrund die ehemaligen Umladegleise zwischen Normalspur und Schmalspur. Hier stehen noch etliche alte, schon viele Jahre abgestellte Schmalspurfahrzeuge, die aber langsam verfallen und in meterhohem Gestrüpp verschwinden
Bekohlt wird mit zwei elektrischen alten Raupenbaggern
Der zweite Umlauf im Selketal wurde am Freitag von 99 6001 gefahren. Hier das Zusammentreffen in Gernrode
Um 14.13 Uhr verließ 99 5906 mit dem P8966 Gernrode Richung Hasselfelde
Wegen dem Verkehrschaos an den Bahnhöfen und an der Strecke bin ich an allen vorbeigefahren und habe mich direkt nach Straßberg aufgemacht. So konnte ich dort in aller Ruhe die tolle Atmosphäre dieses kleinen Bahnhofes genießen, der sich in den letzten 40 Jahren nur wenig verändert hat, weshalb diese Motiv auch ein Hauptgrund für die heutige Fototour war. Vor allem stören dort keine modernen gepflasterten Bahnsteige, eben noch richtige Kleinbahnatmosphäre! Ich hatte übrigens mal einen blinden Eisenbahnfreund, mit dem ich ich viele Jahre Tonaufnahmen getauscht hatte. Als die modernen behindertengerechten Bahnsteige in Mode kamen, sagte er mir, was nützt mir das Alles, wenn ich diese Bahnsteige ohne fremde Hilfe gar nicht finden/erreichen kann. Und wenn ich dann Hilfe habe, lässt mich diese doch bestimmt nicht gerade beim gefährlichsten Moment des Ein/Aussteigens im Stich, wozu also dieser ganz Millionenaufwand?
Straßberg mit 99 5906 und P8966 und VT 187 018 als P8915 Hasselfelde-Quedlinburg
Die Fahrt nach Hasselfelde habe ich mir dann gespart um in Eisfelder Talmühle noch sicher einen Parkplatz zu finden und mir den Fotopunkt in der Bahnhofseinfahrt zu sichern. Während das Selketal bis Alexisbad noch einen weitgehend intakten Eindruck machte, breitete sich Richtung Stiege schon deutlich das bekannte Waldsterben aus. Im Behretal war es dann ganz schlimm und auch rings um den idyllisch gelegenen Bahnhof Eisfelder Talmühle gibt es immer mehr Totholz und Brachflächen. Noch hat man dort aber den Eindruck überwiegend im Wald und im Grünen zu sein.
Eisfelder Talmühle: Gegen 17 Uhr Doppeleinfahrt von 99 7245 mit P8929 aus Wernigerode und 99 5906 mit P8967 aus Hasselfelde
Reichlich Andrang und großes Interesse auch bei normalen Reisenden
Beim Wassernehmen ungefähr an der Stelle des früheren einständigen Lokschuppens gab es nochmals eine Gelegenheit für eine letzte Standardaufnahme.
Ausfahrt des P8969 nach Quedlinburg
Und mein letztes Foto der betriebsfähigen 99 5906, ein trauriger Moment....
Eigentlich hatte ich vor, den Tag mit Freunden in der Gaststätte im Bahnhofsgebäude Eisfelder Talmühle ausklingen zu lassen und auch mal wieder nachzufragen ob man dort jetzt endlich, wie vor vielen Jahren groß angekündigt, auch übernachten kann. Da am Gebäude inzwischen ein Schild "Gaststätte und Pension" angebracht ist, hatten wir gehofft vielleicht das ganze Wochenende dort bleiben zu können. Während der gut frequentierten Zugkreuzung sah ich auch die Gaststättentür noch offenstehen, aber als gegen 17.15 Uhr die Züge den Bahnhof verlassen hatten und zahlreiche Eisenbahnfreunde die Gaststätte aufsuchen wollten, hing da das gewohnte Schild an der Tür "Öffnungszeiten bis 17 Uhr". Allerdings fanden wir auch ein Schild "Gästebetten belegt" was darauf hindeutet, dass Übernachtungen jetzt doch möglich sind. Allerdings gab es weder einen Aushang darüber noch eine Speisekarte, was es bis 17 Uhr noch zu Essen gegeben hätte. Seltsames Marketing! Nun, wenn man zum Abendessen und für ein gepflegtes Bierchen entweder um 17 Uhr fertig sein muss oder abends noch weit fahren muss, kann man auch gleich woanders übernachten! Ich hätte zwar noch ein Zimmer in Nordhausen bekommen können, aber ich zog dann doch das heimische Bett vor und konnte so am Autohof Rhüden an der A7 noch das berühmte hervorragende Cordon Bleu genießen. Leider ohne Mallet-Abschiedsbier, da es von Rhüden noch weitere 40 Minuten Autofahrt sind. Dafür habe ich dann spätabends noch eine (kleine) Flasche "Schwarzwald-Teufel" mit 58% geleert. Bei dem für heute zu erwartenden noch größerem Andrang an der Selketalbahn und da ich für den Abschiedssonderzug morgen keine Abfahrtszeit herausbekommen konnte, habe ich mein perönliches Kapitel "Harzer Mallet" damit bereits gestern abgeschlossen.
Hier noch mein letztes Foto des Tages
99 7245 mit P8929 nach Nordhausen verläßt Eisfelder Talmühle
Viele Grüße
Achim