Mit der Brotbüchse durch den Zipfel…
„Der Zipfel“ oder genauer der „Schluckenauer Zipfel“ dürfte allgemein unbekannt sein. Bekannter ist vielleicht die „U28“ (kein U-Boot!), die „Nationalparkbahn“, die zwischen dem tschechischen Decin und Rumburk über Schönau-Bad Schandau-Sebnitz mit Triebwagen von DB Regio mit tschechischen Lok- und Zugpersonal seit Juli 2014 betrieben wird. Damit hat es fast 25 Jahre nach der Wende in DDR und der Tschechoslowakei gedauert einen seit 1945 bestehenden Lückenschluß von weniger als 900 Meter zu vollziehen. Eine Glanzleistung!
Drehen wir ein wenig zurück: Als Einwohner der Grenzstadt Ebersbach (Sachs) war man zwar die tschechischen Lokomotiven im Güterverkehr und der Diensttriebwagen für die tschechischen Eisenbahner gewohnt, wie auch der Blick auf die Bahnhofsanlagen der Nachbarstadt Jirikov (Georgswalde), aber einen Grenzübergang suchte man vergebens. Man hatte entweder mit dem „Grenzebus“ nach Seifhennersdorf zu fahren, um dann zu Fuß nach Varnsdorf zu gehen oder hatte die Wahl in Zittau oder Bad Schandau per Zug in die CSSR zu gelangen. Dann waren noch die Einschränkungen, dass man pro Tag nur 20 Mark in 60 Kronen umtauschen konnte. Das war sehr knapp. Als Eisenbahnerkind hatte ich auch eine „Naherholungskarte“, die unbeschränkt im 50-Kilometer-Umkreis galt. Da wir ja nun durch die Grenzlage sehr eingeschränkt waren, hatte die einen Stempelvermerk „zusätzlich gültig auf den Strecken Ebersbach (Sachs) – Dresden und Bad Schandau“. Nie ganz geklärt werden konnte, ob man auch über Dresden nach Bad Schandau fahren durfte…
In der Schule hatten wir ca. 1987 den Bürgermeister von Ebersbach mal als Gast eingeladen und auch die Frage nach der Einrichtung eines Grenzübergangs gestellt. PKW Abfertigung war wegen der dichten Bebauung und dem zu erwartenden Rückstau nicht zu denken. Vor einem Personen- und Fahrradübergang kapitulierte der Bürgermeister ehrlich. Sein Arm gehe noch bis Löbau in die Kreisverwaltung oder vielleicht noch bis Dresden zum Bezirk, aber die Achse Ministerien Berlin – Prag usw. sei nicht mehr beherrschbar, bei der Vielzahl der anderen Probleme, wo der auf „Gutwill“ angewiesen sei. Die Frage nach einem Eisenbahnübergang schenkte ich mir dann gleich…
1990 änderte sich vieles. Im Frühjahr war im ebenfalls benachbarten Philippsdorf Wallfahrt. Die weithin sichtbare und auch landschaftsbestimmende Kirche steht fast unmittelbar an der Grenze. Das sonst stets verschlossene rote Grenztor am Ende der Ebersbacher Bahnhofsstraße öffnete sich für 3 Tage (Fr—So.). Zuletzt hatten 1968 Panzer diese Stelle überquert… Also wurden die Fahrräder gesattelt und am ersten Tag die Umgebung von unserer kaum bekannten Nachbarschaft „beradelt“. Auch erstmals wurde der Bahnhof Jirikov besucht. 735 131 vom Depo Ceska Lipa (Böhmisch Leipa) rangierte geschäftig. Am Folgetag standen wir pünktlich um 8 Uhr zur Öffnung des Grenztores, um zum „Georgswäldschen Bahnhof“ zu gehen. Mein Vater hatte am Freitag noch arbeiten müssen, hatte aber bei den tschechischen Kollegen verschiedenste Fahrzeiten der Züge abgeschrieben… Sonst kam ja nach Georgswalde nur ein Triebwagen der Baureihe 810, so 11 – 13 mal am Tage. Zur Wallfahrt fuhren vierteilige Einheiten 810 – zwei Hänger – 810. Mit solch einem Gespann ging es erstmals ins 9 Kilometer entfernte Rumburg, einer Strecke, die ich als Kind vom gegenüberliegenden Schlechteberg manchmal die schwer arbeitenden 556 beobachtete und belauschte. Endlich war ich auch an der Reihe… (gerade frisch Tucholsky gelesen). In Rumburg bot sich ein spannendes Bild. Überall 810er Triebwagen (Brotbüchsen), für den nächsten Zug nach Böhmisch Leipa stand ein Zug mit „Brillenschlange“ und 4 Reisezugwagen mit Schwanenhalsdrehgestellen, nebst Packwagen bereit. Die 735 150 rangierte dauernd. Das Gewusel der 810er „Brotbüchsen“ schaute ich mir dann doch genauer an. Einer hängte sich hinten an den Zug nach Böhmisch Leipa. Ein Blick auf den Fahrplan in der Bahnhofshalle verriet, dass er nur bis Krasna Lipa (Schönlinde) mitfährt und dann wieder als Dreiecksfahrt über Pansky (Herrnwalde) nach Rumburg zurückkommt. So eine Betriebsweise „einfach hinten dranhängen“ bei der DR war undenkbar… Eine andere Brotbüchse hatte auf dem Zuglaufschild als Ziel „Mikulaschovice“, also Nixdorf. Dann war noch eine andere Brötbüchse mit einem Hänger – auf dem Zuglaufschild „Dolni Poustevna“ (Niedereinsiedel). Laut Karte sollte man dort nach Sebnitz „rüberspucken“ können. Also Fahrkarten gekauft und los ging die Reise mit den Zweiachsern über gelaschte Gleise quer durch herrliche Wälder. Aus dem Hänger heraus konnte man die Umgebung herrlich genießen. Erster Halt Valdeck (Waldecke), einige Wanderer stiegen aus. Dann kam Sluknov udoli, keine Ahnung was das bedeutet. Erst später fand ich heraus, dass es der Hp. Karlstal ist. Ein wenig später fuhren wir in Sluknov (Schluckenau) ein: Wir kreuzenden den Gegenzug, wieder „Brotbüchse“ mit Hänger. Ebenso stand ein Nahgüterzug mit einer 735 und einigen Güterwagen da. Hinter Schluckenau ging an einem Steinbruck mit Anschlußbahn vorbei. Ab Schluckenau änderte sich auch die Landschaft ein wenig. Wiesen bestimmten das Bild. Groß Schönau in Böhmen war der nächste Bahnhof. Bald rollten wir in Mikolasovice (Nixdorf) ein. Eine Brotbüchse, die wir schon in Rumburg sahen, war inzwischen über Pansky (Herrnwalde) nach Nixdorf gekommen. Die Strecke ist kürzer. Wir fuhren mit unserem Zug weiter. Bald überquerten wir einen riesigen Stahlviadukt, heute weiß ich es ist die Wölmsdorfer Brücke. Herrliche Aussicht. Nach einem kurzen Halt in Horni Poustevna (also Obereinsiedel) trafen wir in Dolni Poustevna (Niedereinsiedel) ein. Die Brotbüchse setzte sich um an das andere Ende des Beiwagens. Wir gingen die wenigen Meter bis zum Prellbock. Drüben in Sebnitz pfiff eine 112… Die Rückfahrt machten wir mit Umsteigen in Nixdorf, um auch die Strecke über Pansky (Herrnwalde) zu befahren. Von Rumburg ging es mit einer einzelnen Brotbüchse nach Jirikov. Man mußte ja bis 19 Uhr durchs Tor sein, denn sonst hätten wir die Nacht in der CSSR verbringen oder irgendwo über die Spree springen müssen. Doch das hätte am nächsten Tag unangenehme Fragen wegen des fehlenden Ausreisestempels zur Folge gehabt, wollten wir doch mit der „Brillenschlange“ nach Böhmisch Leipa reisen…
Zwischendurch gab es manche Tour mit Zug, Fahrrad oder Auto „in den Zipfel“. Der 1991 aufgenommene Verkehr mit den Brotbüchsen zwischen Ebersbach (Sachs) und Rumburg ist nach über 20 Jahren abbestellt. Kein Interesse vom Aufgabenträger – dem ZVON. Der Kreis Usti (Aussig) würde ja gern. Hätte man damals die Sache richtig durchgezogen, wäre es zu einer Durchbindung der Züge bis Löbau gekommen. Die 810er hätten heute auf deutschen Schienen Bestandsschutz…
Vor einem Jahr sah ich beim Durchschauen der Zugleistungen auf der Zelpage, dass es nur noch eine Brotbüchsenfahrt gibt. Mo-Fr Rumburg ab 14.00 (6682) – 14.40 in Niedereinsiedel und 15.05 wieder zurück als 6685. Das mußte nochmal sein, so wie damals vor fast 30 Jahren…
Also los: Mangel Zug mußte der Abschnitt Ebersbach (Sachs) mit dem Auto gefahren werden. In Rumburg bei den hübschen Damen am Schalter Fahrkarten und ein Kursbuch (99 Kronen) gekauft, war noch ein wenig Zeit sich umzuschauen. Zuerst fuhr die „U28“ aus:
Von Decin kam „Bolek“:
Dann kam unsere „Brotbüchse“ aus dem Rumburger Stall:
Eine Reihe Schüler stiegen ebenfalls ein. Sie fuhren mehrheitlich bis Schluckenau und Groß Schönau i. B. von der Schule nach Hause.
Der Bahnhof Niedereinsiedel hat sich sehr verändert.
Blick gen Sebnitz:
Blick gen Nixdorf:
Den Lokschuppen nutz die Bahnmeisterei:
Langeweile gibt es nicht:
Kreuzung in Schluckenau mit der „U28“:
Zurück in Rumburg:
Von Böhmisch Leipa kommt ein „Sarg“ (843) mit einem Reisezugwagen hoch:
(Solche schönen VT hätte die DR 1988 usw. auch haben können. Doch die Außenhandelsbilanz verhinderte das.)
Der 843 setzt um:
Er will gleich wieder nach Böhmisch Leipa:
Unserer Brotbüchse 810 165 rangiert auch:
Sie räumt den Beiwagen mit ins Depo:
Schon kommt die „U28“ eingefahren:
Dieses Umbaugespann aus 810er und Beiwagen wird nach Decin bereit gestellt:
(Sorry @Botho , wegen des Verwacklers, ich hatte nur die kleine Diggi mit;-)
Im Anschluß ging es zum Essen. Einem frischen Gezapften stießen wir auf die „ewige Brotbüchse“ an…
Pikologe
Edith meinte ich solle einen Wechstabenverbuchtler beheben!